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Sportwissenschaft | Christian Riedel
„Sportwissenschaftlicher Unsinn“
Das Training der Nordischen Kombinierer ist voller Widersprüche
Ronny Ackermann macht sich ganz klein, während er auf dem
Schanzentisch immer weiter in Richtung Absprungpunkt fährt. Die Muskeln
des Modelathleten sind fast bis zum Zerreißen gespannt. Am Schanzentisch
angekommen scheint der Nordische Kombinierer plötzlich förmlich
zu explodieren. Kraftvoll springt er ab und die Energie, die in seinem durchtrainierten
Körper steckt, wird auf einmal beim Absprung frei gesetzt.
Ganz anders nur wenige Stunden später. Dann hat der mehrfache Weltmeister
seine Sprungski gegen Langlauf-Latten eingetauscht und kämpft in der
Loipe um eine gute Platzierung. Immer wieder drückt er sich kraftvoll
mit Armen und Beinen nach vorne und quält sich Meter um Meter in Richtung
Ziel.
Feuer und Wasser
Vergleicht man die beiden Teildisziplinen der Nordischen Kombination
miteinander wird schnell klar, dass die Anforderungen in den beiden Sportarten
einander gegenüberstehen wie Feuer und Wasser. Im Skispringen ist Dynamik
und Explosivität gefragt. Der Kraftimpuls erfolgt einmal und der Athlet
versucht, seine ganze Körperkraft auf einmal freizusetzen. Denn nur mit
einem kraftvollen Absprung können Ackermann & Co. die nötige
Weite für eine gute Platzierung erreichen.
Im Gegensatz dazu steht der Langlauf, die zweite Teildisziplin bei der Nordischen
Kombination. Jetzt muss der Krafteinsatz deutlich dosierter erfolgen. Denn
wenn Ackermann bei jedem Schritt und jedem Stockeinsatz wie beim Skispringen
seine maximale Kraft einsetzen würde, hätte er nach wenigen Metern
keine Power mehr. Ebenso wenig hätte ein Marathonläufer schnell
Probleme, wenn er die gesamte Strecke sprinten würde. Darum versucht
er, seine Kräfte so einzuteilen, dass sie bis zum Zieleinlauf reichen.
Im Wettkampf muss Ronny Ackermann also zwei unterschiedliche Wirkungsarten
seiner Muskeln miteinander verbinden. Dynamisch, explosiv beim Skispringen
und rhythmisch wiederholt beim Langlauf.
Was jeder Nordische Kombinierer im Wettkampf anwendet, ist eigentlich - etwas
überspitzt formuliert – die Quadratur des Kreises. Denn es ist
schwierig, die richtige Balance in der Muskulatur zu finden (siehe Kasten).
Sowohl Schnelligkeit als auch Ausdauer sind zwar in gewissem Maße trainierbar,
aber die Schnelligkeit nur zu einem bestimmten Grad, da die genetischen Voraussetzungen
gegeben sein müssen. Ein Kombinierer braucht daher eine gute Veranlagung,
um in seinem Sport erfolgreich sein zu können.
Früh übt sich
Entsprechend zum Wettkampf ist auch das Training schwierig,
wie Hermann Weinbuch, der Bundestrainer der Deutschen Nordischen Kombinierer,
weiß: „Es liegt in der Natur der Sache, dass das Training bei
den Nordischen Kombinieren schwieriger zu konzipieren ist als bei den Spezialisten.
Denn wir müssen zwei komplett unterschiedliche Disziplinen miteinander
kombinieren. Das Training so anzulegen, dass beide Disziplinen optimal gefördert
werden, ist sehr schwierig, weil auch jeder Sportler unterschiedliche Voraussetzungen
hat.“
Die Fähigkeiten für beide Sportarten können aber bedingt erlernt
werden. Und entsprechend früh fangen die Nordischen Kombinierer auch
mit ihrem Training an, wie Peter Dick, der am Olympiaschwerpunkt in Chemnitz
und Dresden die Kombinierer betreut, betont: „Die Kinder müssen
schon sehr jung mit dem Skispringen anfangen. Oft sind sie erst sechs oder
sieben Jahre alt, wenn sie mit dem Springen beginnen. Und das ist auch wichtig.
Denn die Kinder können nur langsam an die Schanzen herangeführt
werden. Sie fangen mit den kleinen Schanzen, auf denen man fünf bis sechs
Meter weit springt, an. Dann werden die Schanzen immer größer.
Und jede Schanze muss neu erarbeitet und erst einmal beherrscht werden.“
Wer erst spät einsteigt hat meistens keine Chance mehr, weil er einige
Jahre an Training und Gewöhnung nachholen muss.
Oft landen die Kinder während Ihrer skisprungspezifischen Ausbildung
eher zufällig bei der Nordischen Kombination. „Wir legen beim Training
großen Wert darauf, dass die Kinder gerade zu Beginn ein umfassendes
Training bekommen“, sagt Dick. „Dazu gehört, dass wir gezielt
auch andere Trainingsreize setzen. Die Skispringer sollen Sicherheit auf ihren
Brettern und eine gute Grundlagenausdauer bekommen. Also trainieren sie Langlauf
und andere Disziplinen. Einige entscheiden sich dann für die Nordischen
Kombination, weil sie sich nicht auf eine Sportart festlegen wollen.“
„Mittlerweile haben die Erfolge der Deutschen Kombinierer ebenfalls
dazu beigetragen, dass immer mehr Kinder gezielt Nordische Kombinierer werden
wollen“, ergänzt Hermann Weinbuch, der selber 1985 Weltmeister
in der Nordischen Kombination wurde. „Ronny Ackermann ist unser Zugpferd.
Mit seinen Erfolgen ist es natürlich einfacher, Medienpräsenz zu
bekommen und damit auch mehr Leute und mehr Nachwuchs anzusprechen.“
Ein Balanceakt
Bevor die jungen Kombinierer aber ebensolche Erfolge wie der
dreifache Weltmeister Ronny Ackermann feiern können, durchlaufen sie
ein sehr kompliziertes Training, das auf jeden Athleten persönlich zugeschnitten
ist. Darum bekommt beim Deutschen Skiverband jeder Athlet einen eigenen Trainingsplan,
der in ein Gesamtkonzept eingebunden ist. Je nach Ziel und Trainingszustand
kann der Plan für jeden Sportler ziemlich variieren. Besonders das Alter
eines Athleten spielt eine große Rolle. „Meistens sind unsere
Jüngsten auch die besseren Springer“, sagt Weinbuch. „Beim
Springen zählt jedes Kilo und die Junioren sind fast immer ein paar Kilos
leichter als die alten Hasen, haben sich weniger Muskelmasse antrainiert und
können im Skispringen neue Techniken schneller erlernen. Also müssen
sie auch anders trainieren“
Die gesunde Balance zu finden ist das A und O beim Training der Nordischen
Kombinierer. Das bestätigt auch Peter Dick: „Im Langlauf braucht
man nicht nur Kraft in den Beinen. Ein großer Teil der Arbeit wird in
den Armen und im Oberkörper verrichtet. Darum haben Langläufer meistens
auch ansehnliche Muskelpakete. Die wären den Kombinierern aber beim Skispringen
im Weg. Denn Springer brauchen sehr viel Feingefühl im Oberkörper,
damit sie mit dem Wind spielen und auf kleinste Luftveränderungen reagieren
können. Mit zu viel Kraft in den Armen und in den Brustmuskeln geht dieses
Gefühl verloren und die Athleten verlieren einen Teil der Sensibilität.“
Gerade ältere Kombinierer haben oft schon so viel Ausdauer- und Krafttraining
absolviert, dass sie das ein oder andere Kilo mehr Muskelmasse aufgebaut haben
als ihre jüngeren Kollegen. Entsprechend leichter fällt ihnen auch
das Langlaufen und umso früher landen sie beim Skispringen. „Wenn
die Muskeln sich auf ein Ausdauertraining eingestellt haben, fehlt es ihnen
am Schanzentisch oft an Spritzigkeit“, sagt Dick. „Und ohne Spritzigkeit
und Schnellkraft fehlt es den Sprüngen oft an Weite.“
Das erschwert das Training in der Nordischen Kombination, die wegen des schwierigen
Zusammenspiels beider Disziplinen auch als Königsdisziplin im Wintersport
bezeichnet wird. Darauf ist Hermann Weinbuch auch etwas stolz: „Die
Nordische Kombination und auch das entsprechende Training ist deutlich vielschichtiger
als bei den Spezialisten und verlangt von den Trainern und den Athleten viel.
Die Spezialisten im Skispringen und Langlauf tun sich da leichter, weil sie
keine Schwächen kompensieren müssen, sondern den Körper nur
in eine Richtung hin trainieren können.“ Beispielsweise laufen
Kombinierer in der Saisonvorbereitung rund 5.000 bis 6.000 Kilometer, während
die Spezialisten mindestens 10.000 Kilometer zurücklegen. Wobei es natürlich
auch herausragende Sportler gibt, die sogar bei den Spezialisten mithalten
können. „Ein Hannu Manninen läuft beispielsweise auch bei
den finnischen Langlaufmeisterschaften mit, obwohl er Kombinierer ist. Und
ist dabei nicht chancenlos.“
Trainingsphasen
Das grundlegende Training ist zunächst für alle
Altersgruppen gleich. Wobei durchaus gezielt auf Schwerpunkte wie Olympische
Spiele oder Weltmeisterschaften hin trainiert werden kann. Um die Athleten
möglichst effektiv zu trainieren, wird das Training in mehrere Phasen
unterteilt. In der ersten Phase, die rund drei Monate dauert, wird dabei besonders
die Grundlagenausdauer trainiert.
Bereits in den drei Monaten beginnt sich der Körper zu verändern.
„Wenn die Mannschaft vermehrt Ausdauer trainiert, springen sie direkt
kürzer“, sagt Dick, der die wissenschaftliche Hintergrundarbeit
bei den Nordischen Kombinierern koordiniert und jeden der bis zu 700 Trainingssprünge
pro Athlet auf Video aufnimmt. „Man kann bei jedem Sprung erkennen,
dass ihnen die Schnellkraft fehlt. Und umgekehrt ist es genauso. Wenn mehr
gesprungen als gelaufen wird, fehlt den Athleten in der Loipe schon mal das
ein oder andere Körnchen.“
Nach rund drei Monaten wird darum der Trainingsschwerpunkt auf das Springen
gelegt.
Von Vorteil sind dabei die immer zahlreicheren Sommerwettkämpfe,
in denen die Kombinierer unter Wettkampfbedingungen trainieren können.
Großen Wert legen die Trainer beim zweiten Schwerpunkt auf das Training
der Schnellkraft, ohne die weite Sprünge nicht möglich sind.
Im Oktober steht dann das erste Schneetraining auf dem Programm. Jetzt haben
die Trainer zum letzten Mal die Gelegenheit, den Haupt-Trainingsreiz auf Ausdauer
zu legen. sagt Weinbuch. Darum steht bis zum Saisonauftakt weitgehend Ausdauer
auf dem Programm während zwischen den Wettkämpfen eher die Feinabstimmung
beim Springen auf dem Trainingsplan steht. Ansonsten wird eher regenerativ
trainiert, damit die Athleten ihren Akku bis zum nächsten Weltcup wieder
aufladen können.
Schwierig wird es, wenn Olympische Spiele oder eine WM auf dem Programm stehen.
„Wenn der Saisonhöhepunkt im Februar stattfindet, passiert es,
dass durch unsere gezielten Trainingsreizen die Athleten im Januar in ein
Leistungsloch fallen“, erklärt Weinbuch wie die Athleten auf gezielt
auf einen Wettkampf vorbereitet werden können. „Wenn wir direkt
vor der Saison intensiver trainieren, gehen die Athleten etwas müde in
die Saison. Der Körper kann die Müdigkeit zunächst kompensieren,
aber irgendwann ist der Akku leer und man fällt in ein Leistungsloch.
Wenn die Energie aufgebraucht ist, ist das ja auch nicht verwunderlich.
Rund
zwei bis drei Wochen vor dem Wettkampf bekommen die Athleten ihre Pause.“,
sagt Weinbuch, der 1985/1986 selber den Gesamtweltcup bei den Kombinieren
geholt hat, weiter. Nach dem Prinzip der Superkompensation (siehe Kasten)
ist der Körper beim Saisonhöhepunkt somit leistungsstärker
als zu Beginn. „Allerdings darf man in dieser Zeit fast nicht trainieren,
weil sonst die Kraft-Reserven direkt wieder geleert werden. Damit tun sich
auch oft junge Kombinierer schwer. Wenn es mal nicht so läuft, weil der
Körper keine Energie mehr hat, trainieren sie härter, um wieder
fit zu werden. Aber das ist genau der falsche Weg. Es ist fast schizophren.
Man muss bei einem Einbruch weniger trainieren, um fitter zu werden, sofern
man auch wirklich im Sommer gut gearbeitet hat.“
So schlecht kann diese Maßnahme nicht sein. Sonst hätten die Deutschen
Kombinierer um Ronny Ackermann bei den letzten Großereignissen nicht
den Löwenanteil der Medaillen abgeräumt.
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